Part 2/2: Wie wir reagieren, hängt von der Bewertung ab, die wir einer Situation geben. Diese Bewertung verläuft zum Großteil unbewusst. Wie genau das funktioniert, schauen wir uns in diesem Blogpost an, wir tauchen tiefer ein in die Physiologie unseres Körpers und schauen uns mit diesem neurowissenschaftlichen Background die drei wichtigsten Ziele des Stressmanagements an und wie wir sie erreichen können: Stressauslöser verändern, Stressresistenz erhören und aktiv entspannen mit evidenzbasierten Tools!
Was passiert in meinem Gehirn, wenn ich einer stressigen Situation bin?
Stell dir eine Situation vor, die dich immer wieder aufregt oder stresst - das kann jetzt alles sein, von der Bahn, die zu spät bis hin zu einer Situation mit deinem Arbeitskollegen. Hast du eine Situation im Kopf? Perfekt.
Was passiert jetzt also in deinem Gehirn?
Es gibt 2 Bereich in unserem Gehirn, die jetzt interessant sind und die wir uns anschauen, um zu verstehen, wie wir Stressmangement und Stressbewältigung richtig und effektiv angehen können.
Randnotiz: das ist jetzt alles sehr vereinfacht dargestellt und dient dem besseren Verständnis der nachfolgenden Tools zur Stressbewältigung :)
Dein unbewusstes Emotionszentrum - das limbische System

Als erstes schaltet sich das limbische System ein. Das limbische System ist sozusagen das Herz unserer Emotionen und Gedächtnisbildung, allerdings ist es nicht alleinig dafür zuständig. Es besteht aus mehreren Regionen im Gehirn, unter anderem dem Hippocampus und der Amygdala. Das limbische System hilft Erinnerungen und Gefühle zu verarbeiten.
Nehmen wir also an, du befindest dich in der stressigen Situation, dein limbisches System wirkt aktiv und beantwortet jetzt folgende Fragen:
Auf Basis meiner bisherigen Erfahrungen, welche Emotion passt zu dieser Situation ? - limbisches System, unbewusst
Als erstes findest immer eine unbewusste Bewertung der Situation statt, auf Basis der Informationen, die unser Gehirn bereits hat. Also Erfahrungen die wir gemacht haben, Einschätzungen, die wir über unsere Fähigkeiten haben und Gefahren, die so auf uns lauern. Darüber denken wir nicht nach, diese "erste Einschätzung" passiert ohne bewusstes Nachdenken, also unbewusst. Erst danach erfolgt die Aktivierung der Hirnareale, die uns bewusst über die Situation nachdenken lassen.

Der bewusste Denker - der präfrontale Cortex
Wenn unser Körper und unser Gehirn ruhig sind, können wir gut auf unseren präfrontalen Cortex zugreifen, wodurch wir in der Lage sind, bewusste, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Dadurch können wir Impulse kontrollieren und unsere Emotionen regulieren. Und hier liegt schon der Knackpunkt der Stressbewältigung verborgen.
Wie kann ich die Situation jetzt bewerten, um bestmöglich zu reagieren? - präfrontaler Cortex, bewusst

Informationsfluss im Nervensystem: Top-Down oder Bottom-Up
Wenn wir jetzt bewusst die stressige Situation neu bewerten würden, wie z.B.:
"Okay, ich kann gerade nichts daran ändern, dass ich im Stau stehe. Ich stehe einfach hier, ich bin in keinem Unfall verwickelt, niemand kommt zu Schaden, wenn ich eine halbe Stunde später komme. Es ist zwar blöd, aber mir geht es gut."
... dann kann dieser Perspektivenwechsel zu einer Entspannung der Situation, bzw. besser gesagt, deines Körpers, beitragen. Nachdem du dich zu Beginn vielleicht noch aufgeregt hast, reagiert dein Körper jetzt durch die neue Bewertung der Situation ruhig anstatt gestresst. Diese Regulation ist ein sogenannter
Top-Down Prozess
Top-Down bedeutet in diesem Fall, dass die bewusste Bewertung (Stichwort: präfrontaler Cortex) dazu geführt hat, dass sich dein Nervensystem entspannt. Top-Down bedeutet, der Informationsverlauf geht von oben (Gehirn) nach unten (in den Körper).
Bottom-Up Prozess
Der gegenteilige Informationsverlauf ist der Bottom-Up Prozess. Bottom-Up bedeutet, Informationen kommen von unten nach oben, also vom Körper hin zum Gehirn bzw. auch von außen nach innen. Alle Sinneseindrücke, die wir erfahren, alle Infos, die von außen reinkommen und dann als Info im Gehirn (Stichwort: limbisches System) ankommen, sind Bottom-Up Informationsflüsse. Auch alle Informationen über unseren Körper, also wie schnell dein Herz schlägt, wie schnell deine Atmung ist, wie voll dein Magen ist, wie es deinen Organen geht, etc. sind Informationen die Bottom-Up verlaufen.
Mit diesem wichtigen Background über unser Nervensystem schauen wir uns jetzt das Thema Stressmanagement an - du wirst gleich verstehen, wieso das ein absoluter Game-Changer ist.
Die wichtigsten Ziele der Stressbewältigung
Die Ziele von effektivem Stressmanagement lassen sich in drei wichtige Ziele unterteilen. Wir denken kurz nochmal an die internen Faktoren, es geht jetzt hierbei nicht darum, externe Faktoren zu managen, sondern um das Selbstmanagement, das Management unserer eigenen Reaktionen und der Bewertung der Stresssituation, die wir vor uns haben.
Info: Die Quellen zu den Tools findest du am Ende des Artikels
Was kann ich für mich tun, um besser mit Stress umzugehen?
1. Stressauslöser verändern - TOP-DOWN Regulation stärken

Was wir hier erreichen wollen, ist eine verstärkte Top-Down Regulation, das beutetet, dass wir lernen, in Situationen, die uns emotional fordern, gute
und vernünftige Entscheidungen zu treffen, also unseren präfrontalen Cortex zu aktivieren. Es gibt mehrere evidenzbasierte Möglichkeiten, die helfen, unseren Fokus und unsere Achtsamkeit hierbei zu schulen.
Ziel: Bewusste Veränderung der eigenen Bewertung und Reaktion
Tools:
Hinterfragen der eigenen Bewertung und sich in Achtsamkeit und Fokus üben. Hilfreich hierfür ist
Coaching mit einer externen Person oder Selbstcoaching in Form von
Journaling, um sich über destruktive Gedankenmuster und Glaubenssätze bewusst zu werden.
Meditation führt durch den Prozess des ständigen Re-Fokussierens zu einer besseren Top-Down Regulation.
2. Stressresistenz erhöhen - TOP DOWN Regulation verstärken und BOTTOM-UP Prozesse nutzen
Gerade für Situationen, in denen wir Ruhe bewahren müssen trotz Anspannung und Druck, ist es wichtig die eigene Stressresistenz zu erhöhen.
Ziel: Klaren Kopf bewahren, wenn der Körper aktiviert/erregt ist
Tools:

Sport - vor allem Bewegung und Übungen, die uns immer wieder aus unserer Komfortzone bringen und bei denen man immer und immer wieder an kleine Grenzen stößt, die man überwindet. Genau an diesen Punkten der Überwindung findet Top-Down Regulation statt. Wenn dein Kopf sagt, "ich will nicht mehr, ich hab keine Lust mehr!" und du trotzdem weiter machst, trainierst du die Aktivität deines präfrontalen Cortex.
Kälteexposition - Wie funktioniert das? Wenn der Kopf sagt “RAUS” und du bleibst drin, fördert das ebenfalls die Top-Down Regulation und beim nächsten Streit kannst du einfacher einen klaren Kopf bewahren, ohne dich von deinen Emotionen und Impulsen leiten zu lassen. Gleichzeitig führt Kälteexposition, also kaltes Duschen oder Eisbaden, zum Ausschütten von Wohlfühlhormonen und vielen weiteren Prozessen in deinem Körper, die dir helfen den Fokus über den Tag zu behalten (Bottom-Up).
3. Aktiv entspannen - BOTTOM-UP Prozesse nutzen
Jeder von uns sollte die Fähigkeit beherrschen, sich aktiv entspannen zu können. Es gibt hierfür ganz unterschiedliche Methoden. Die effektivste und auch in Studien belegte Methode ist über unser Atem (Bottom-Up)
Nervensystem regulieren, um wieder klare Gedanken zu fassen
Tools:
Es gibt viele Techniken, wie Progressive Muskelentspannung, Yoga, Meditationstechniken oder einfach ein Spaziergang an der frischen Luft, die zu einer Entspannung unseres Nervensystems führen. Die meisten dieser Prozesse funktionieren Bottom-Up, das beudetet, über die Bewegung und veränderte Wahrnehmung entspannt sich unser Nervensystem. Um in Stresssituationen das Nervensystem (evidenzbasiert am besten) zu entspannen, funktioniert eine Sache am besten:
Unser Atem, vor allem über den sogenannten Physiologischen Seufzer (in dem Video erkläre ich, wie er genau funktioniert)
EIN Atmen
EIN Atmen
AUS Atmen
Kenne deine Symptome und arbeite mit deinem Nervensystem zusammen, um deine Stressresistenz zu erhöhen!
Du siehst, das sind alles keine verrückten Tools, das sind auch keine komplizierten Systeme. Das Wichtigste ist, zu verstehen, wieso dein Körper so reagiert, wie er reagiert. Dafür werde dir bewusst, was deine Stressauslöser und Symptome sind und baue für jedes der Ziele Tools in deinen Alltag, die zu dir passen! Und wahrscheinlich machst du sogar schon etwas, das dich bisher dabei unterstützt hat, mit deinem Stress umzugehen und zu kompensieren. Sei dir darüber bewusst und bleibe weiter dran, dein Nervensystem zu unterstützen, um deine mentale Gesundheit zu erhalten.
Du willst lieber was auf die Ohren? Höre dir die Podcastfolge zum Thema "Stressbewältigung: 3 effektive Wege aus der Neurowissenschaft" auf deiner Lieblingsplattform an:
Quellen und weitere Infos zu den genannten Tools:
Basso, Julia C., et al. "Brief, daily meditation enhances attention, memory, mood, and emotional regulation in non-experienced meditators." Behavioural brain research (2019)
Sammlung wissenschaftl. Quellen zum Thema Journaling: https://www.webmd.com/mental-health/mental-health-benefits-of-journaling, https://positivepsychology.com/benefits-of-journaling/
Sammlung wissenschaftl. Quellen und mehr Infos zum Thema Kälteexposition: https://hubermanlab.com/the-science-and-use-of-cold-exposure-for-health-and-performance/
Basso, Julia C., and Wendy A. Suzuki. "The effects of acute exercise on mood, cognition, neurophysiology, and neurochemical pathways: A review." Brain Plasticity (2017)
Balban, Melis Yilmaz, et al. "Brief structured respiration practices enhance mood and reduce physiological arousal." Cell Reports Medicine (2023)